Eines meiner zahlreichen Böker Arbolito, dieses ein früher, viel zu teurer Gebrauchtkauf eines alten Modells, hatte (und hat) eine äußerst schwergängige, fast unbewegliche Ahle.
Diese wollte ich mobilisieren, hatte sie mit Ballistol gut geölt, gleichwohl keine Chance, sie mit dem Fingernagel anzuheben, weshalb ich zum kurzen Schraubendreher mit Kapselheber eines Vics griff.
Für eine Sekunde hatte ich die gute Idee, mir einen Lederhandschuh anzuziehen, verwarf sie jedoch aus Bequemlichkeit, was sollte durch diese Ahle und den kapselhebenden Schraubenzieher des Vic schon mehr als eventuell ein Schnitt angerichtet werden?
Leider rutschte ich bei dem Anheben der Ahle mit dem Vic unter Aufwand von sicher über 5 und bis gefühlt 10 kg Kraft ab, und mein rechter Zeigefinger schlug regelrecht in die geöffnete geschliffene Seite der Ahle, eine tiefe, quer über den Fingerrücken
klaffende, überhaupt nicht blutende Wunde tat sich auf, die ich vermeintlich fachmännisch nach Sprühdesinfektion mit Bordmitteln aus der Hausapotheke versorgte.
Damit die Wunde nicht durch Fingerbewegung aufreißt, bandagierte ich den Zeigefinger zusammen mit dem benachbarten Mittelfinger zu einem stabilen Paket und war schmerz- wie blutungsfrei zufrieden.
Anderntags schaute ich nach, der Zeigefinger zwar krumm und schief, doch die Wunde blutfrei und bereits teilweise geschlossen, mir fehlte jegliche Phantasie, was da in Mitleidenschaft gezogen sein könnte.
Ich erneuerte regelmäßig den Verband, der Fingerknöchel blieb arg geschwollen, die Wunde heilte rasant, Büroarbeit litt natürlich enorm, Körperhygiene war erschwert, und ich wagte endlich den Versuch, den ausgepackten Finger leicht zu krümmen, um zu sehen, ob die Wundheilung hielt.
Doch oh Schreck, die Wunde hielt, die Krümmung gelang, nur ihr Gegenteil nicht wieder, die Strecksehne war durchrennt worden, der Finger blieb gekrümmt und relativ steif!
Auf zu einem befreundeten Chirurgen, der mir eröffnete, daß nach der Verwundung ein Zeitfenster von etwa 48 Stunden sich zu schließen begonnen habe, jedoch bereits 6 Tage vergangen waren, und er als Unfall- und Schönheitschirurg, wenn auch erfahrener Oberarzt, zu der OP nicht qualifiziert genug sei, ganz Berlin aber leider auch nur zwei gute, kompetente Handchirurgen habe.
Deren einen er aber gut kenne, weshalb er mir einen schnellen Termin versprach.
Und Wort hielt, noch am Abend des Folgetages wurde der Zeigefinger während drei Stunden bis in die Nacht hinein operiert, die Ärzte waren zufrieden, alles sei nach Plan verlaufen.
Trotz wirklich extrem starker mir mitgegebener Schmerzmittel setzten mit abnehmender Betäubung Schmerzen ein, wie ich bis dahin noch keine hatte, und die gewiß drei volle Tage und Nächte lang anhielten.
Allmählich aber nachließen, weshalb nach fortschreitender Wundheilung mit behutsamer Ergotherapie durch eine mir von meinem chirurgischen Freund einfühlsam ausgesuchte und vermittelte, blutjunge und unerhört aparte Spezialistin begonnen werden konnte.
Und mußte, weil Finger schon binnen 1 Woche ihrer Bandagierung rasant an Beweglichkeit verlieren und Muskeln abbauen.
Das Fingerturnen war bis auf die Dompteurin mäßig interessant, doch wirksam, es galt die Balance zwischen dem Aufreißen der Wunde und dem Reißen der genähten Sehne einerseits, und deren „Verkleben“ mit dem sie umgebenden Gewebe andererseits zu halten, um Folgeoperationen zu vermeiden.
Dieses gelang, nach insgesamt einem halben Jahr war der rechte Zeigefinger wieder ordentlich belastbar, ihm nichts mehr anzusehen, doch seine ehemalige Geschmeidigkeit wird er niemals wieder erlangen.
Hände schütteln, schreiben, Geld auch in größeren Mengen zu zählen gelingt, Dritte sehen auch nichts von der Versehrung, aber bspw. die Krone einer Armbanduhr zum Aufzug zu drehen oder mit Schraubendrehern umzugehen, fällt erheblich schwerer als zuvor.
Weshalb, laudare, movere, gaudere, docere, nach meinem Dank den Ärzten und Behandlern, den Messernutzern bei Verdacht auf eine mögliche Sehnenverletzung besonders empfohlen sei, auf das oben benannte Zeitfenster von nur 48 Stunden zu achten.
Bleibt gesund, mit einem Lederhandschuh wäre das alles erspart geblieben.